Texte zur Produktion
Wie können wir Formen des Zusammenlebens auf diesem Planeten finden, die nicht auf Rohstoff-Ausbeutung beruhen? Inspiriert von nicht-eurozentrischen Perspektiven des Klimawandels und ihrer Erfahrung von Mutterschaft setzt sich Michelle Moura für Beziehungsformen ein, die auf Gegenseitigkeit beruhen. In einem ekstatischen Ritual aus Kreistänzen, Drehungen und Gesängen erkunden wundersame Wesen das Potential für Transformation. “BOCA COVA” taucht ein in die Unersättlichkeit unserer Münder und Körper und in die lebensfeindliche Logik des Kapitalismus – ein Versuch, diese Gier in einen Hunger nach nachhaltigeren Beziehungen mit dem Leben zu überführen.
Artist’s Note von Michelle Moura
Vor einigen Jahren bin ich über diesen Ausdruck gestolpert: „quälende Unersättlichkeit“.
Ein bodenloses Loch, das in uns allen wächst. Der ewige Mangel.
Das koloniale, kapitalistische System als nicht zu bremsender Verschlinger, der allem und allen die Lebenskraft aussaugt, der die Welt in ein Produkt verwandelt, das es zu bewältigen gilt. Ein System, das keine anderen Realitäten hervorbringen kann; was es auch verschlingt, alles hat denselben faden Geschmack. Nichts kann es zufriedenstellen.
Ist das Gefühl des Mangels einfach fester Bestandteil des Menschseins oder wird es vom Kapitalismus hervorgebracht und ausgelöst? Wie desinfiziere ich mich gegen dieses unersättliche System?
Was ist der Unterschied zwischen „etwas begehren“ und „etwas anbauen“?
Diese Arbeit beginnt beim Mund: Wie man ihn bewegt, wie man von ihm aus denkt. Was kann er aufnehmen, was hervorbringen? Das Öffnen und Schließen, die Geräusche, die Ausdrücke und Empfindungen, die er auslöst. Als ich mir dieses Loch mitten im Gesicht näher ansah, erkannte ich den Akt des Essens allmählich als etwas Komplexes, das mehrere Beziehungen betrifft: Ernährung und Erhalt; Begegnung mit anderen Wesen und Substanzen; Verwandlung, Zerstörung, Genuss. Der Mund als alchimistische Pforte der Verwandlung.
Was will dieser Mund eigentlich? Gibt es etwas, das ihn vollends befriedigt?
Ein Tanz, der aus der Verbindung des Verdauungstraktes mit Auswurf- und Schluckbewegungen entsteht. Ein Mund in Verbindung mit der Erde, auf der wir stehen. Die Welt als diesen Mund spüren, der unterschiedliche Materialien, Subjekte und Wesen zerkaut und verschluckt. In genau diesem Moment werden wir verdaut: unter dem Druck der Schwerkraft, langsam von der Zeit in der Brühe der Elemente verkocht.
Dieses Stück ist ein Verdauungstrakt, der sich zusammenzieht und versucht, aus den letzten Resten eine weitere Welt hervorzubringen.
Michelle Moura
Michelle Moura lebt derzeit in Berlin. In minimalistischen Arbeiten erforschte sie mehrere Jahre lang, mit welchen Strategien sich psychologische und physische Veränderungen erzeugen lassen. Heute interessiert sich für die Künstlichkeit und Dissoziation von Elementen und manipuliert Bewegung, Ausdruck, Klang und Sprache. Ihre Kreationen wurden auf internationalen Tanz- und Performance-Festivals wie Impulstanz (AU), Panorama (BR), und La Biennale di Venezia (IT) präsentiert. Als Tänzerin hat sie u. a. mit Lea Moro (CH/DE), Wilhelm Groener (DE) und Vincent Dupont (FR) zusammengearbeitet. Gemeinsam mit sieben weiteren brasilianischen Künstler*innen war Michelle Moura Mitbegründerin und Mitglied der Caulifower Miniglobal Artistic Community (2005–2012). Ihre Performance “Overtongue”, die im Rahmen der Tanztage Berlin 2021 entstand, wurde als eine von 13 Produktionen zur Tanzplattform Deutschland 2022 eingeladen.
www.michellemoura.com
[Quelle: tanzimaugust.de]
TFB Nr. 1908
Besetzung & Credits
Künstlerische Leitung & Choreografie: Michelle Moura
Mit: Clarissa Rêgo, Isabela Fernandes Santana, Ixchel Mendoza Hernández, Rocío Marano
Musik & Sounddesign: Kaj Duncan David
Lichtdesign: Annegret Schalke und Hanna Kritten Tangsoo
Dramaturgie & Choreografische Assistenz: Maikon K
Kostümdesign: Thelma Bonavita
Internationale Distribution: Something Great
Produktionsleitung: ehrliche arbeit – freies Kulturbüro
Eine Produktion von Michelle Moura in Koproduktion mit Tanz im August / HAU Hebbel am Ufer (in Kooperation mit Sophiensæle) und PACT Zollverein. Gefördert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds.
Die Premiere wird präsentiert in Kooperation mit Sophiensæle.
Koproduktion und Residenz unterstützt durch FELD/LAB, ein Projekt von O Espaço do Tempo und dem Goethe Institut Portugal.
Mit freundlicher Unterstützung durch die Danish Arts Foundation und Diorama Berlin.
Dank an Elisabete Finger, Mateusz Szymanówka, Sophie Spiral Schultze-Allen.
Tanz im August 2024
Künstlerische Leitung: Ricardo Carmona
Produktionsleitung Festival: Stefan Nagel
Produktionsleitung & Dramaturgie: Alina Lauer
Produktion & Teamassistenz: Luzie Barzen
Produktion: Mascha Euchner-Martinez
Produktionsmitarbeit: Carim Sol Al Samarraie, Feli Braun, Arantxa Ciafrino, Sophie Hübner, Lu Yu Zou
Technische Leitung Festival: Ingo Ruggenthaler
Tanz im August ist ein Festival des HAU Hebbel am Ufer, gefördert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds.
Sophiensæle
Videodokumentation
Die Videodokumentation wird im Auftrag der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt hergestellt. Im Rahmen dieses Auftrags werden Produktionen im Bereich des zeitgenössischen Tanzes in Berlin dokumentiert. Die Masteraufnahmen werden von der Universitätsbibliothek der Universität der Künste Berlin archiviert. Kopien der Dokumentationen auf DVD werden folgenden Archiven zur Verfügung gestellt und sind ausschließlich im Präsenzbestand (an den Medienplätzen vor Ort) zur Sichtung zugänglich:
Universitätsbibliothek der Universität der Künste Berlin
Mediathek für Tanz und Theater des Internationalen Theaterinstituts / Mime Centrum Berlin
Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin