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Aufnahme: 15.11.2014 , DOCK 11 (Video © Walter Bickmann)

Anne-Mareike Hess

Tanzwut

DOCK 11

Texte zur Produktion

Let’s come together and dance.
We are the movement and we are the groove.
Our bodies extend into each other until complete dissolving.
Here and Now, the dance floor is ours.
Out of space and out of time, only devotion counts.

Tanzwut bringt Gleichgesinnte zusammen, welche das Ausbrechen aus sozialen Normen und das Überschreiten persönlicher Grenzen durch Tanz erproben wollen. Durch die Jahrhunderte hindurch tritt Tanz immer wieder einerseits als Medium der Befreiung und Ekstase und andererseits als Medium der Disziplinierung und Heilung des Körpers auf. Die mittelalterliche Tanzplage, die Tarantella, religiöse und spirituelle Praktiken und die Clubbing Culture, sind nur einige Beispiele dafür. Inspiriert von diesen Phänomenen fragt Tanzwut nach der Funktion von Tanz in unserer heutigen Gesellschaft und deklariert das Theater zum Raum der Befreiung.

Tanzwut entstand aus einer Recherche zu dem Thema: „Tanz als Krankheit und Tanz als Heilung – ein Ausbruch aus dem Körper“. Das Stück inspiriert sich dabei an Phänomenen bei denen der Körper nach Ekstase sucht, sie erreicht und im Zuge dessen aus sich heraus bricht. Dieses Herausbrechen kann in zahlreichen Religionen wie auch sozialen Ereignissen wieder gefunden werden und nimmt dabei ganz unterschiedliche Formen an. Die Choreografin Anne-Mareike Hess hat sich im Probenprozess zu Tanzwut intensiv mit diesem Wunsch des Ausbruchs beschäftigt und sich dazu u.a. an folgenden Phänomenen inspiriert:

DIE TANZPLAGE – auch Veitstanz, Tanzsucht oder Choreomanie genannt – bezeichnet ein Phänomen welches zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert besonders in Westeuropa (DE und LU) auftrat und welches als epidemische Volkskrankheit wahrgenommen wurde. Über mehrere Jahrhunderte hinweg „befiel“ sie Menschengruppen, manchmal mehrere Hunderte, die dann viele Stunden oder auch Tage unkontrolliert „tanzten“, bis sie vor Erschöpfung zusammenbrachen und manchmal sogar starben. Die Theorien über die Gründe dieser spontanen Ausbrüche der Tänze sind genauso zahlreich wie diffus und verdeutlichen den skandalösen Charakter und die Irritation, welche dieses un(be)greifbare Phänomen in der damaligen Gesellschaft hervorgerufen hat. Die Tanzplage scheint ein Sammelbegriff für alle unerklärlichen und aus der Norm fallenden Bewegungsabläufe und Ereignisse dieser Zeit gewesen zu sein und sie bot dadurch auch zahlreichen ganz unterschiedlich motivierten Menschen einen Experimentier- und Gegenraum für sozial und / oder religiös widerständiges Verhalten – eine Art utopischer Raum, in dem für kurze Zeit die geltenden gesellschaftlichen, sittlichen und körperlichen Normen außer Kraft gesetzt werden konnten.

DER TARANTISMUS (Süd Italien) beschreibt den landläufigen Glauben, dass der Biss einer Tarantel seine meist weiblichen Opfer in den Wahnsinn und späteren Tod treibt. Die einzige Methode um die Frauen vor diesem Schicksal zu bewahren, war der Tanz. So mussten die gebissenen Frauen, begleitet von Musik, so lange wahnhaft und fieberhaft tanzen, bis sie vor Erschöpfung zusammenbrachen und die Krankheit besiegt war. Die repetitive Musik mit den Schlägen des Tamburins und dem Gesang, sollen den Herzschlag der Frau imitieren und sie dadurch zu ihrem eigenen Lebensrhythmus zurückführen. Dass diese Ausbrüche nichts mit einem Tarantelstich zu tun haben liegt auf der Hand, vielmehr war dieses gesellschaftlich akzeptierte Ritual, eine Art für die Frau aus der Depression des Alltags und ihrer unterdrückten Rolle in der Gesellschaft auszubrechen.

Des Weiteren spielen RELIGIONEN welche in ihrem Glauben Trancezustände und Besessenheit von Göttern oder Dämonen praktizieren – wie z.B. die Santeria (Kuba), der Voodoo (Haiti), der Candomblé (Brasilien), die Yoruba (Westafrika), aber auch der Schamanismus – eine Rolle. In diesen Religionen gibt es ganz bestimmte Zeremonien aus Musik und Tanz, in denen die Götter in einen Menschen einfahren und durch ihn sprechen. In diesem Kontext ist auch der katholische Exorzismus zu erwähnen, bei dem es darum geht den Besessen von seinen Dämonen wieder zu befreien durch u.a. das repetitive Wiederholen von Gebeten.

Neben diesen historischen Phänomenen und Religionsgebundenen Praktiken haben im Entstehungsprozess zu Tanzwut aber auch zeitgenössische Phänomene wie die PARTYS und RAVES der TECHNO SZENE, die Hardcore Konzerte mit ihren choreografischen Elementen der Death Walls und des Mosh Pits, Gabriele Roth’s „5rhytm dance“ und sonstige Nischenphänomene, welche uns die Möglichkeit der Trance und Befreiung ermöglichen, als Quelle gedient.

ANNE-MAREIKE HESS (D/LUX) ist Tänzerin und Choreografin. Sie erhielt ihre Ausbildung in Musik und Tanz am Konservatorium in Luxemburg, am TROIS C-L, an der HfMDK in Frankfurt/Main (2002-2006 Diplom Bühnentänzerin) und am Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin / Ernst Busch (2008-2010 Master in Choreographie). Anne-Mareike arbeitet als freischaffende Tänzerin und Performerin u.a. mit William Forsythe („Human Writes“), Eeva Muilu, Zeina Hanna und Rosalind Goldberg. Sie war als choreografische Assistentin für mehrere Choreografen tätig und hat als Dramaturgin für die Choreografin Marina Tenorio gearbeitet. Anne-Mareikes eigene Choreografien wurden bereits in verschiedenen Festivals in Europa und Kanada aufgeführt. 2008 wurde Anne-Mareike zur internationalen „Dance Roads 2008“ Tour und zum Festival « Les Repérages » in Lille (Frankreich) eingeladen. 2010 wurde ihre Produktion „Never-ending up north“ von National Theater Luxembourg (TNL) koproduziert. 2012 tourte das Stück „I believe that we are having a dialogue“, eine Kollaborationsarbeit mit Sandra Lolax, durch Luxemburg, Deutschland und Skandinavien. Die neuen Produktion „Tanzwut“ feiert im Herbst 2014 an der Banannefabrik in Luxemburg Premiere. Weitere Vorstellungen folgen am Inkonst in Malmö [SE], JoJo in Oulu [FI] und am Dock11 in Berlin [DE]. Anne-Mareike ist zusammen mit der Regisseurin Miriam Horwitz das Künstlerduos „Horwitz & Hess“. Seit 2009 sind unter diesem Namen schon mehre Arbeiten entstanden welche in Skandinavien und Deutschland gezeigt wurden. Mit ihrer aktuellen Produktion „Palais idéal “ hatten sie im April 2014 Premiere. In der Spielzeit 2014 – 2015 wird Anne-Mareike die Choreografie machen für das Theaterstück „Ich befürchte jetzt kennen wir uns“ (UA) von Autor Ivor Martinic, in der Inszenierung von Miriam Horwitz am Gavella Theatrer in Zagreb. 2012 erhielt Anne-Mareike einen Nachwuchspreis der Stiftung zur Förderung junger Künstler in Luxemburg.

JORGE DE HOYOS (USA) ist Tänzer und Choreograf aus San Francisco. Er lebt und arbeitet seit 2012 in Berlin. Als Performer hat er zuletzt mit Meg Stuart / Damaged Goods in „Sketches / Notebook“ gearbeitet, er hat das Solo „The Love of Emptiness“ von Sara Shelton Mann in San Francisco performt und war Teil von „TURBULENCE – a dance about the economy“ von Keith Hennessy. Jorge De Hoyos wurde in Los Angeles, Kalifornien geboren. Er studierte kulturelle Anthropologie an der University of California, Santa Cruz. Er war Co-Organisator des Live-Work Studios „THEOFFCENTER“, eines Kunstraumes für queeren Diskurs in San Francisco. Er hat Artikel und Interviews in „Dance“ (SF), „Dance Theatre Journal“ (London), und auf dem „THEOFFCENTER.org-Blog“ veröffentlicht.

ROSALIND GOLDBERG studierte Tanz an der Balettakademien in Stockholm und hat im Oktober 2014 ihren Master in Choreographie am HZT Berlin abgeschlossen. Seit 2007 lebt und arbeitet sie als Tänzerin und Choreografin in Berlin und Stockholm. Ihre choreographischen Arbeiten wurden u.a. beim Impulstanz Festival (Wien), Schauspielhaus Bochum, TanzFabrik (Berlin), „Tanztagen Berlin“, „Tanzoffensive“ (Chemnitz und Leipzig), „Diversia“ (Kostroma, Russland) und auf den Bühnen Weld und MDT in Stockholm, Inkonst in Malmö, Sophiensaele und Uferstudios in Berlin gezeigt. Außerdem war sie an zahlreichen Projekten als Tänzerin und Performerin beteiligt. Sie arbeitet u. a. mit Ingri Fiksdal, Anne-Mareike Hess, Mårten Spångberg und mit dem artistwin deufert&plischke, sowie mit die Choreographinnen Sandra Lolax und Stina Nyberg.

SIGRID HIRSCH KOPPERDAL, geboren 1985. Lebt und arbeitet als Tänzerin in Oslo, Norwegen. Sie erhielt einen BA in mordernem und zeitgenössichen Tanz von der Oslo National Academy of the Arts und aht anschließend ihr Studium an der Salzburg Experimental Academy of Dance fortgesetzt. Sigrid hat u.a. mit Choreografen wie Ingri Fiksdal, Eva-Cecilie Richardsen, Elle Sofe Henriksen, Jana Unmüssig und Franz Rogowski gearbeitet. Seit einigen Jahren macht Sigrid auch eigene Arbeiten wie z.B. das Solo „Jeg er ikke en øy“ (2013). Seit 2012 organisiert Sigrid in Zusmmenarbeit mit anderen Künstlern das Mind „The Gap dance festival“ in Oslo.

MARC LOHR (Schlagzeug/Elektronik) stammt aus Luxemburg, wo er sowohl Jazz wie klassische Musik studierte. Nach seinem Studium in Den Haag zog er für einige Jahre nach Kopenhagen; jetzt lebt er in Berlin. Seine Musik ist oder beinhaltet Improvisation; er schreibt Musik für Instrumente, elektronische Geräte und sich bewegende Menschen.

KATRIN FÜRST studiert Architektur und Stadtplanung an der Universität Stuttgart und ETSA Barcelona, wo sie bereits beginnt interdisziplinär zu arbeiten und Textilien und Mode in ihr Raumverständnis zu integrieren. Seit 2010 arbeitet sie als freie Bühnen- und Kostümbildnerin, sowie in den Bereichen Design, Architektur, Installation und Performance. Ihre inhaltliche Kernthemen sind das Verhältnis von Bekleidung, Körper und Architektur, sowie deren performativem Charakter. Katrin Fürst lebt in Berlin.

[Quelle: Abendzettel]

Besetzung & Credits

Idee / Konzept: Anne-Mareike Hess
Entwicklung / Performance: Anne-Mareike Hess, Rosalind Goldberg, Sigrid Hirsch Kopperdal, Jorge Rodolfo De Hoyos
Kostüme und Bühnenbild: Katrin Fürst
Musik: Marc Lohr
Lichtdesign: Brice Durand
Dramaturgie: Mira Moschallski
Produktionsleitung: Jérôme Konen
Koproduktion: TROIS C-L – Centre de Création Chorégraphique Luxembourgeois
Unterstützung: Ministère de la Culture Luxembourg, Oeuvre Nationale de Secours Grande-Duchesse Charlotte – Fonds stART-up, Der Regierende Bürgermeister von Berlin – Senatskanzlei, Fonds culturel national, Fondation Indépendance, DOCK 11 Berlin, Tanztendenz München, HZT – Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin

DOCK 11

Kastanienallee 79
10435 Berlin

dock11-berlin.de
Karte

Tickets: dock11-berlin.de/theater/service/tickets

DOCK 11 / DOCK ART GmbH
dockart@dockart.de

Videodokumentation

Die Videodokumentation wird im Auftrag der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt hergestellt. Im Rahmen dieses Auftrags werden Produktionen im Bereich des zeitgenössischen Tanzes in Berlin dokumentiert. Die Masteraufnahmen werden von der Universitätsbibliothek der Universität der Künste Berlin archiviert. Kopien der Dokumentationen auf DVD werden folgenden Archiven zur Verfügung gestellt und sind ausschließlich im Präsenzbestand (an den Medienplätzen vor Ort) zur Sichtung zugänglich:

Universitätsbibliothek der Universität der Künste Berlin
Mediathek für Tanz und Theater des Internationalen Theaterinstituts / Mime Centrum Berlin
Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin

Anne-Mareike Hess / Trailer und Videodokumentationen

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