Texte zur Produktion
Hip Hop was born in Papua. You don’t have to believe me. But that’s what my greatgrandfather told me.
Als der Choreograf Jecko Siompo 1984 das erste Mal HipHopper in den Straßen von Jakarta sah, traute er seinen Augen nicht: Die B-Boys tanzten genauso wie sein Urgroßvater in West-Papua. Auch eine spätere Reise nach New York, der eigentlichen Wiege des HipHop, änderte nichts an Siompos erstem Eindruck. Es stand für ihn fest: „Hip Hop was born in Papua.“ In seinem neuen Stück „We came from the East“ realisiert Siompo nun diese ganz persönliche tanzanthropologische These. Wie schon in seiner Produktion „Terima Kost“, die 2010 erfolgreich bei Tanz im August gastierte, bedient sich Siompo zu diesem Zweck seines einzigartigen choreografischen Stils „Animal Pop“. In rasantem Tempo sampelt er tänzerische Fundstücke zu reliefartigen Bildern. Egal ob HipHop, Tierbewegungen, Modern Dance oder klassischer javanesischer Tanz, das zehnköpfige Ensemble rearrangiert vertraute und fremdartige Formen, bis einzelne Bewegungen nicht mehr auf einen einzigen Stil oder einen klaren Ursprung zurückzuführen sind.
Jecko Siompo gehört zu den Stars der zeitgenössischen Tanzszene in Indonesien. Er wuchs in Papua auf, wo er bereits früh mit indigenen Tanzformen in Kontakt kam. Ende der 80er Jahre entdeckte er dann über das Fernsehen HipHop und begann sich diese Tanzform autodidaktisch beizubringen. 1994 zog Jecko Siompo nach Jakarta, um eine Tanzausbildung am Jakarta Art Institut (IKJ) zu beginnen. Am IKJ, an dem neben Ballett und Modern Dance vor allem die klassischen Tänze Javas, Sumatras und Sulawesis unterrichtet werden, eckte Jecko mit seinem durch HipHop und die traditionellen Tänzen Papuas geprägten Hintergrund zunächst immer wieder an. Er entwickelte einen genuinen choreografischen Stil, in dem alle verschiedenen Stile und Techniken ihren Platz haben. Mit Stücken wie in „Front of Papua“, „Tikus Tikus“ und „Terima Kost“ tourt Jecko Siompo seit vielen Jahren in Asien, zunehmend aber auch in Europa und Australien.
Gibt es wirklich das Original…?
Jecko Siompo im Gespräch mit Anna Wagner
Jecko, in deinem neusten Stück “We came from the East“ aber auch in älteren Stücken beziehst Du Dich immer wieder auf die Insel Papua. Warum?
Ich komme aus Jayapuara, der Hauptstadt West-Papuas. Als ich in Jakarta Tanz studierte, ließ mich das Gefühl nicht mehr los, dass ich für den zeitgenössischen Tanz wissen muss, woher ich komme. Deshalb kehrte ich nach Papua zurück und erforschte die Tänze, die ich dort als Kind gelernt habe.
In Deutschland ist Papua nahezu unbekannt…
Die meisten Europäer denken, Menschen in Papua leben im Dschungel mit Baströcken und so. Auch für viele Indonesier ist Papua sehr fern und exotisch, obwohl es eine indonesische Provinz ist. Flüge von Jakarta nach Jayapura sind genauso teuer wie Flüge von Jakarta nach Tokio. In Papua gibt es viel Natur und einzelne Stämme, die noch relativ abgeschieden leben, aber es gibt natürlich auch Städte. Das Land verändert sich ständig.
Kannst Du das genauer erläutern?
Die Städte wachsen. Die Umgebung unterliegt einem Wandel. Es gibt Firmen, die Bodenschätze abbauen – ohne Rücksicht auf mögliche Umweltschäden oder gesundheitliche Folgen. Das beschäftigt mich sehr.
Welchen Einfluss hat das auf die Menschen?
Technologien verändern unser Verhältnis zum Körper und zur Umwelt. Für mich gibt es allerdings keine eindeutige Hierarchie zwischen Stadt und Land, dem Heute und Damals. Ich fühle mich in der Stadt oft wie im Dschungel und im Dschungel wie in der Stadt. In der Stadt passiert alles schlagartig. Es gibt Autos, Reklame, Rolltreppen. Aber wenn ich mit einem Freund im Dschungel unterwegs bin, sagt er mir plötzlich: „Schau! – und urplötzlich, stehen Menschen mit Pfeil und Bogen vor uns. Welche Technologien sind komplexer? Welche Verhaltensweisen sind genauer und durchgestalteter? Was ist „primitiver“ – der Dschungel oder die Stadt? Diese paradoxen Verhältnisse untersuche ich auch in meinem Stück „We came from the East“.
Du lässt geografische und zeitliche Zuschreibungen implodieren und weist tänzerisch nach, dass HipHop nicht aus den USA sondern aus Papua kommt…
Als ich 1984 zum ersten Mal nach Jakarta kam, tanzten ein paar Typen auf der Straße HipHop. Und mein Gedanke war: Das kenne ich. Die Bewegungen hatten erstaunliche Ähnlichkeiten mit denen papuanischer Tänze. Sie folgten z.B. demselben Rhythmus, aber natürlich zu ganz anderer Musik. In den folgenden 20 Jahren begegneten mir immer mehr Analogien. „We came from the East“ fasst diese Beobachtungen zusammen.
Folgen die Zuschauer deiner tanzgeschichtlichen These?
Die Leute müssen mir nicht glauben. Das ist meine Vision, mein Traum. Jeder Tanzstil entsteht aus den Erfahrungen vieler Menschen. Jede Bewegung ist schon durch viele andere Körper gegangen, wurde verändert, bevor ich wieder in neue Zusammenhänge bringe. Auch die des HipHop gab es bereits, bevor der Begriff geprägt wurde. Gibt es also wirklich das Original oder einen eindeutigen Ursprung?
Besetzung & Credits
Choreografie und Musik: Jecko Siompo
Tanz: Ajeng Soelaeman, Meitha Nindyasari, Arisma Ranisa, Karla Zimmermann, Soleman Korwa, Pytos Harris, Eten Patty, Iam Murda, Jakob Yaw
Dramaturgie: Jochen Roller
Produktion: Julia Rahma, Iwan Riduan Pagaralam
Lichtdesign: Moelyono
Eine Koproduktion von Hebbel am Ufer, Kampnagel Hamburg, Esplanade – Theatres on the Bay, Singapur und Goethe-Institut Jakarta im Rahmen von tanzconnexions.
Eine Veranstaltung im Rahmen der Asien-Pazifik-Wochen, unterstützt durch die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin.
HAU Hebbel am Ufer (HAU2)
Hallesches Ufer 32
10963 Berlin
Tickets: +49 (0)30 259 004 27
tickets@hebbel-am-ufer.de
Videodokumentation
Die Videodokumentation wird im Auftrag der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt hergestellt. Im Rahmen dieses Auftrags werden Produktionen im Bereich des zeitgenössischen Tanzes in Berlin dokumentiert. Die Masteraufnahmen werden von der Universitätsbibliothek der Universität der Künste Berlin archiviert. Kopien der Dokumentationen auf DVD werden folgenden Archiven zur Verfügung gestellt und sind ausschließlich im Präsenzbestand (an den Medienplätzen vor Ort) zur Sichtung zugänglich:
Universitätsbibliothek der Universität der Künste Berlin
Mediathek für Tanz und Theater des Internationalen Theaterinstituts / Mime Centrum Berlin
Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin