Texte zur Produktion
Die Tanzperformance koerper.welle ist eine multimediale Recherche, die den Körper zum Medium macht. In zwei dialogischen Tanzsoli untersuchen der Choreograf Clébio Oliveira und sein Team die Wellen der physischen und psychischen, politischen und sozialen Katastrophe, die bei uns Spuren hinterlässt. Wie sieht unsere psycho-physische Chronik der Pandemie aus, wenn wir in einer global vernetzten Welt plötzlich gezwungen sind, körperlich Abstand zu halten? Von Berlin aus geht der Blick nach Brasilien, in die eigenen Communitys und vor allem dahin, wo Menschen radikal den wirtschaftlichen Interessen untergeordnet werden.
koerper.welle ist eine Tanzperformance vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie in Brasilien, wo die Pandemie die sozial Benachteiligten besonders hart trifft und rassistische, koloniale Strukturen, die Profite über Menschenleben stellen, in neuer Form alte Traumata aufleben lassen.
Der Choreograf Clébio Oliveira und die Performerinnen Zula Lemes und Christine Ceconello sind in Brasilien aufgewachsen. Von Berlin aus, aus gleichzeitiger Nähe und Distanz, ist für sie besonders schmerzhaft zu sehen, wie die brasilianische Gesellschaft von ihrem Präsidenten in die Katastrophe getrieben wurde. Prekäre Lebensbedingungen gefährden die Überlebenschancen. Auch in Deutschland sind als migrantisch wahrgenommene Menschen hiervon besonders betroffen und geraten zudem in rhetorische Schusslinien. Dabei interessiert das Team Prozesse, die die sozialen Ungleichheiten sichtbar machen und wie die Lebensverhältnisse körperliche Spuren hinterlassen.
In Zusammenarbeit mit der Multimedia-Künstlerin Mirella Brandi, die in Brasilien lebt und mit der Technik des „expanded cinema“ arbeitet, wird der Körper zum Medium und Dokument – zum „expanded documentary body“. Der Körper ist eine Einheit, die isoliert werden muss, da er eine Gefahr birgt, als potenziell kranker, krankmachender Teil einer Ansteckungskette.
In der Performance wird versucht, die Ansteckung choreografisch zu transformieren und auf die Affekte zu übertragen, die zwischen den Körpern zirkulieren. Ein Kampf um Nähe in Zeiten der Distanz – denn unter „normalen“ Bedingungen ist es ein zutiefst menschlicher Impuls, sich aufeinander zu beziehen, sich beizustehen und zu helfen. Es ist letztlich das, was uns als Gesellschaft widerstandsfähiger machen kann. koerper.welle sucht nach einer Welle der Ansteckung, die heilsam ist.
Clébio Oliveira – Choreograf
Der Tänzer und Choreograf Clébio Oliveira wurde in Brasilien in Natal geboren und ist Absolvent der Centro Universitário da Cidade in Rio de Janeiro. Er tanzte von 2004 bis 2008 für Deborah Colkers renommierte Tanzkompanie in Europa, Asien und Südamerika und zuletzt von 2008 bis 2010 für die Compagnie Toula Limnaios. Als Choreograf kreierte er Stücke für die Tanzkompanien von Carlota Portella, Teatro lberto Maranhao, De Anima Ballet Contemporanea, die Contemporary Dance Group der Bolshoi Tanzschule in Brasilien, war in Köln und für das Ballett Kiel tätig. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, so im Jahr 2006, als er von der Tageszeitung „Jornal do Brasil“ mit dem Preis „Best Choreographer“ ausgezeichnet wurde. Im Jahr 2011 war er der Gewinner der „National Choreographic Competition“ der Hubbard Street Dance Company Chicago. Dort hat er im September 2011 sein Stück „The fantastic escape of the little Buffalo“ für dieses weltweit bekannte Ensemble kreiert. Für die Sao Paulo Dance Company hat er bislang drei Choreographien zwischen 2015 und 2016 erarbeitet. Seit 2008 zeigt Clébio jährlich ein neues Tanzstück in Berlin. Bisher waren in Berlin zu sehen: „Dona José“ (2008), „Milchstraße“ (2011), „Abyssal Zone“ (2012), „UGLY“ (2013), „XXX – ein Versteckspiel“ (2014 / WDA 2016), „TIEFSEE“ (2015) und „FOREIGN BODY“ (2017 / WDA 2018). In den Spielzeiten 11/12 und 13/14 arbeitete Clébio als Choreograf am GRIPS Theater Berlin und am Staatstheater Stuttgart. 2012 wurde er als Hoffnungsträger Choreografie im Jahrbuch des Magazin Tanz porträtiert. Weitere Informationen unter clebio-oliveira.com
Christine Ceconello – Performerin
Christine Ceconello wurde in Caxias do Sul, Brasilien, geboren. Sie begann ihre Karriere als Tänzerin am Theatro Municipal do Rio de Janeiro, wo sie auch im Ensemble De Anima unter der Leitung von Richard Cragun auftrat. Nach vier Jahren wechselte sie zu einem eher zeitgenössischen Ensemble, dem Theater Castro Alves in Bahia. 2007 zog Ceconello nach Europa und tanzte am Staatstheater Augsburg, am Grand Théâtre de Genève, am Stadttheater Hagen, am Theater Heidelberg und an der Deutschen Oper Berlin. Sie erhielt den Bayerischen Kunstförderpreis 2009 und den Augsburger Theaterpreis 2008. Als freischaffende Choreografin arbeitete sie mit Choreografen wie Maud Liardon, Martino Müller, Yang Jiang, Gustavo Gomes, Jonathan Lunn und Stephen Shropshire zusammen. Ceconello entwickelte auch eigene choreografische Arbeiten und wurde für den Prêmio de Dança Cesgranrio 2019/2020 in Brasilien als beste Choreografin und Performerin nominiert. Sie inszenierte außerdem für Grupo Rota (Rollstuhltanzkompanie in Brasilien), Cello Dance Project, IOIC Zürich, Companhia Brasileira de Dança, Staatstheater Augsburg.
Zula Lemes – Performerin
Zula Lemes wurde in Sao Paulo, Brasilien geboren. Sie studierte Tanz, Schauspiel und Gesang in Brasilien und in Argentinien. Durch vielseitige Engagements als Sängerin, Schauspielerin, Lehrerin und Tänzerin entwickelte sie ihren eigenen unverwechselbaren Still, der von ihrer starken Ausstrahlung geprägt wird. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin. Ende der 80er Jahre kam sie auf einer Europa-Tournee als Solotänzerin nach Deutschland und entwickelte hier mehrere Solo-Programme in Zusammenarbeit mit dem Musiker und Theaterregisseur Marcelo Royo. Seit 1990 ist sie als Pädagogin im Tanzund Theaterbereich deutschlandweit tätig. Ihre Kurse und Seminare zeichnen sich durch ein klares pädagogisches Konzept aus. 1990 erhielt sie vom Senat der Stadt Berlin den Preis für „Beispielhafte Interkulturelle Jugendarbeit“ und gehörte 1993 zu den wenigen Stipendiatinnen im Bereich Darstellende Kunst, die von der Kunststiftung Baden-Württemberg ein Stipendium erhielten. Von 2006 bis 2010 war sie als Dozentin für Bewegung an der Academy Bühnenkunstschule tätig. Sie ist seit über 15 Jahren an der VHS Berlin Dozentin für Modernen afrobrasilianischen Tanz.
Matteo Niccolai – Komposition
Der italienische Sänger und Komponist Matteo Niccolai ist unter seinem Künstlernamen Matresanch bekannt. Seine Karriere begann er zunächst als Opernsänger, zwischen 2005 und 2008 trat er in mehreren Opernproduktionen in Italien auf. Den Fans elektronischer Musik ist er durch die italienische Band Monverpix bekannt, deren Sänger und Produzent er von 2010 bis 2012 war. Danach war er für zwei Produktionen, „Quel Tipaccio Di Mraccio“ (2012) und „Adesso o Mai Più“ (2013) Mitglied des MusicalEnsembles „Musicalmente“ aus Genua in Italien. Seit seinem Abschluss in elektronischer Musikproduktion und Performance an der Berliner db’s Music School konzentriert er sich hauptsächlich auf das Komponieren elektronischer Musik. 2014 produzierte Matresanch die Musik zu Oliveiras „XXX – ein Versteckspiel“, 2015 für das „Museu Dancante“ und „Grey sky“, in Sao Paulo. 2015 produzierte er die Musik für die Choreografie „Tiefsee“, 2017 für „Nelken und Rosen“ sowie „Foreign Body“, in Berlin. In 2018 produzierte er die Musik für das Tanzstück „MATA“, das für die Amazonia Dance Company (Manaus Brazil) entwickelt wurde. 2020 produzierte er die Musik für Clébio Oliveiras Arbeit „Fragil“ für das Theater o.N. Dies ist nun die zwölfte Zusammenarbeit mit Clébio Oliveira. Er schrieb bereits 2021 die Musik für Oliveiras Tanzstück „TRANSE (Trance)“ mit 17 Tänzer*innen am renommierten Teatro Municipal de São Paulo für das dort ansässige Balé da Cidade. Matresanch arbeitet an verschiedenen Projekten in Berlin.
Mirella Brandi – Multimedia-Künstlerin
Mirella Brandi ist eine italienische Multimedia-Künstlerin und Lichtdesignerin, die derzeit in São Paulo und Berlin lebt. Licht als autonome Sprache, als narratives Leitmotiv, ist ihr Forschungsfeld. Die Künstlerin entwickelt zahlreiche persönliche Projekte mit dieser Sprache neben der Realisierung des Lichtdesigns für Projekte in anderen Bereichen wie u. a. Tanz, Musik, Oper, Theater, bildende Kunst. Mirella schafft einzigartige Erlebnisse für das Publikum, die durch das szenische Universum und durch visuelles Storytelling verstärkt und intensiviert werden. Ihre Arbeit unterläuft die konventionelle Verwendung von Lichttechnik zur Stimulation unterschiedlicher Wahrnehmungszustände. In Zusammenarbeit mit der Künstlerin und Musikerin Muep Etmo entwickelt sie einen kontinuierlichen Forschungsprozess im Hinblick auf die narrative Funktion von Licht und Ton, aus dem über Jahre hinweg zahlreiche Projekte in den Bereichen Expanded Cinema, visuelle Musik und zeitgenössischer Tanz entstanden sind. Diese Projekte transformieren die Beziehung zur Raumzeit durch Immersion in Bild und Ton, um das Publikum als zentrale Figur einer Dramaturgie einzubeziehen, die Erzählungen generiert. Es sind Erzählungen, die sich durch die Wahrnehmung des Publikums etablieren. Dieses Verfahren wird für Aufführungen verwendet, die maßgeblich von Licht und Ton bestimmt werden, die sie selbst gestaltet, und für kollaborative Projekte in mehreren Sprachen. Als Künstlerin hat sie an vielen Festivals teilgenommen, wie zum Beispiel C60Urban Solar Audio Plant in Berlin, Vídeo-Brasil, The Creators Project, On-Off, Emoção Artificial e o Cinético Digital in Itaú Cultural, Tangente in Montreal-Kanada, Ehemaliges Stummfimkino DelphiBerlin, the Monkeytown in NY, Live Cinema in Oi Futuro Ipanema,; Rojo Nova Cultura Contemporânea (SP-RJ-Barcelona), Besides Screen in Coventry, UK und dem Acker Stadt Palast in Berlin. koerper.welle ist bereits die siebte Produktion, die sie mit Oliveira realisiert.
[Quelle: PR-Info]
TFB Nr. 1569
Besetzung & Credits
Konzept / Choreografie: Clébio Oliveira
Tanz / Kreation: Zula Lemes, Christine Ceconello
Dramaturgie: Yasmine Salimi
Komposition Musik: Matresanch
Lichtdesign: Mirella Brandi
Lichtassistenz: Raquel Rosildete und Marcelo Schmittner Daza
Kostüme: Atelier Liyanova Migliorati
Produktionsleitung: Elisa Calosi
PR: Yven Augustin
Mit freundlicher Unterstützung der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa.
Uferstudios
Videodokumentation
Die Videodokumentation wird im Auftrag der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt hergestellt. Im Rahmen dieses Auftrags werden Produktionen im Bereich des zeitgenössischen Tanzes in Berlin dokumentiert. Die Masteraufnahmen werden von der Universitätsbibliothek der Universität der Künste Berlin archiviert. Kopien der Dokumentationen auf DVD werden folgenden Archiven zur Verfügung gestellt und sind ausschließlich im Präsenzbestand (an den Medienplätzen vor Ort) zur Sichtung zugänglich:
Universitätsbibliothek der Universität der Künste Berlin
Mediathek für Tanz und Theater des Internationalen Theaterinstituts / Mime Centrum Berlin
Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin